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Die türkische Verfassung: Geschichte, Inhalte und Verfassungsgericht

قانون اساسی ترکیه

Die türkische Verfassung ist das grundlegende Dokument, das die Grundregeln der Republik Türkei, das Regierungssystem, die Staatsform sowie die wichtigsten staatlichen Institutionen festlegt. Sie bestimmt die Beziehungen zwischen Staat und Bürgern und bildet den rechtlichen Rahmen für das politische Leben des Landes.

Als Eckpfeiler der türkischen Rechtsordnung definiert die Verfassung in 177 Artikeln und mehreren vorläufigen Artikeln die Grundrechte und -pflichten der Bürger, die Organisation der Gewalten und die Funktionsweise der staatlichen Organe. Seit ihrem Inkrafttreten wurde sie mehrfach geändert, zuletzt mit tiefgreifenden Reformen im Jahr 2017, durch die das Präsidialsystem eingeführt wurde (Stand: 2024).

Türkische Verfassung – Gesetzbuch und Justizhammer

Über die Verfassung in der Türkei

Die derzeit gültige Verfassung der Republik Türkei ist die Verfassung von 1982, die nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 ausgearbeitet wurde. Sie wurde in einer Volksabstimmung am 7. November 1982 angenommen und trat kurz darauf in Kraft.

Seit 1982 wurde die türkische Verfassung wiederholt geändert, um das politische System, die Grundrechte und die Institutionen an gesellschaftliche und politische Entwicklungen anzupassen. Besonders bedeutend waren die Reformpakete der 2000er Jahre und die Verfassungsänderung von 2017, mit der das Land von einem parlamentarischen System zu einem Präsidialsystem überging (Stand: 2024).

Die Verfassung schützt bestimmte grundlegende Bestimmungen in besonderem Maße: Die ersten drei Artikel, in denen Staatsform, Amtssprache, Flagge, Nationalhymne und Hauptstadt festgelegt werden, dürfen weder geändert noch zur Änderung vorgeschlagen werden.

Geschichte der türkischen Verfassung

Die türkische Verfassung von 1921

Die erste Verfassung der jungen türkischen Republik entstand 1921 unter der Bezeichnung „Teşkilât-ı Esasiye Kanunu“, was häufig als „Gesetz über die Grundorganisation“ oder „Grundgesetz“ übersetzt wird. Sie blieb bis 1924 in Kraft.

Die Verfassung von 1921 wurde von der Großen Nationalversammlung (Türkiye Büyük Millet Meclisi) ausgearbeitet, die nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und während des Unabhängigkeitskrieges konstituiert worden war.

Das zentrale Ziel dieser Verfassung war es, das Prinzip der Volkssouveränität zu verankern: Die Souveränität sollte nicht länger beim Sultan, sondern beim Volk liegen.

Die Verfassung von 1921 war ein relativ kurzer Text mit 23 Artikeln. In den ersten neun Artikeln wurden die grundlegenden Prinzipien festgelegt, auf denen der neue Staat beruhen sollte.

Die türkische Verfassung von 1924

Nach der offiziellen Proklamation der Republik Türkei im Jahr 1923 wurde 1924 eine neue Verfassung verabschiedet, die bis zum Militärputsch von 1960 und der darauffolgenden Verfassungsordnung von 1961 in Kraft blieb.

Die Verfassung von 1924 begleitete die frühen Reformen der Republik. Unter ihr kam es zu wichtigen Änderungen, darunter:

  • 1928: Streichung des Satzes, dass der Islam Staatsreligion ist, aus der Verfassung;
  • 1930/1934: Einführung des Frauenwahlrechts auf kommunaler (1930) und nationaler Ebene (1934);
  • 1937: Aufnahme des Prinzips des staatlichen Säkularismus (Laizismus) und weiterer republikanischer Grundsätze in die Verfassung.

Damit wurde festgelegt, dass die Türkei ein republikanischer, nationalistischer, säkularer, populistischer und revolutionärer Staat ist.

Die Verfassung von 1924 wurde nach dem Militärputsch von 1960 aufgehoben, bei dem der Präsident der Republik, Celal Bayar, und der Premierminister Adnan Menderes gestürzt wurden.

Die politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen dieser Zeit sowie Persönlichkeiten wie Halide Edip Adıvar und Mustafa Kemal Atatürk prägten die Entwicklung der jungen Republik und ihrer Verfassung maßgeblich.

Die Verfassung von 1961

Die Verfassung von 1961 wurde nach dem Militärputsch von 1960 erarbeitet. Ein 20-köpfiger Verfassungsausschuss der Konstituierenden Versammlung bereitete den Entwurf vor, der anschließend dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wurde.

Die Verfassung von 1961 wurde in einem Referendum mit 60,4 % angenommen. Es war die erste Verfassung der Türkei, die durch ein Volksreferendum gebilligt wurde.

Sie brachte umfangreiche Neuerungen, unter anderem:

  • Trennung des Präsidentenamtes von der Parteizugehörigkeit des Amtsinhabers;
  • Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz und Einrichtung neuer Kontrollmechanismen;
  • Ausweitung sozialer und politischer Rechte, etwa das Recht zur Gründung von Gewerkschaften und das Streikrecht;
  • Stärkung der Autonomie von Universitäten sowie von Rundfunk und Fernsehen;
  • Gewährung des Demonstrationsrechts ohne vorherige Genehmigung unter bestimmten Voraussetzungen;
  • Schutz vor willkürlicher Entlassung hochrangiger Beamter ohne richterliche Entscheidung.

Die Verfassung von 1961 bildete die Grundlage für ein stärker pluralistisches und rechtsstaatliches System, blieb aber auch Gegenstand politischer Kontroversen. Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 unter der Führung von General Kenan Evren, der die Regierung von Süleyman Demirel stürzte, wurde sie außer Kraft gesetzt und durch die Verfassung von 1982 ersetzt.

Die Verfassung von 1982

Die Verfassung von 1982 wurde nach dem Putsch von 1980 durch eine vom Militär dominierte Konstituierende Versammlung ausgearbeitet. Sie wurde am 7. November 1982 in einem Referendum angenommen und bildet bis heute die Verfassungsgrundlage der Republik Türkei.

Ursprünglich war die Verfassung von 1982 stark auf Ordnung, Einheit und Sicherheit ausgerichtet und schränkte einige politische und bürgerliche Rechte ein. Seit den 1990er und 2000er Jahren wurde sie jedoch mehrfach revidiert, um die Grundrechte zu stärken, die Demokratie zu vertiefen und den europäischen Standards anzunähern.

Die umfangreiche Verfassungsänderung von 2017 verwandelte das politische System in ein Präsidialsystem: Das Amt des Ministerpräsidenten wurde abgeschafft, die Befugnisse des Staatspräsidenten wurden erweitert und die Struktur der Exekutive grundlegend neu geordnet (Stand: 2024). Die politischen Entwicklungen, etwa die Türkische Wahlergebnisse 2023, lassen sich nur vor dem Hintergrund dieser Verfassungsänderungen vollständig verstehen.

Der Inhalt der türkischen Verfassung

Einführung und Präambel

Die Präambel der türkischen Verfassung enthält die Grundgedanken und Werte, auf denen der Staat beruht. Sie betont unter anderem:

  • die ewige Existenz des türkischen Mutterlandes und der türkischen Nation;
  • die unteilbare Einheit von Staat, Volk und Staatsgebiet;
  • den Nationalismus und die Reformen von Atatürk als Orientierungspunkte der Republik;
  • die Bedeutung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung;
  • die Achtung der Grundrechte und -freiheiten im Rahmen von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit;
  • die nationale Einheit und Solidarität aller Bürgerinnen und Bürger;
  • das Ideal von „Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt“.

Die Präambel wird als verbindlicher Leitgedanke verstanden, der bei der Auslegung der Verfassungsbestimmungen berücksichtigt werden soll.

Wichtige Artikel der Verfassung (Artikel 1–4)

Die türkische Verfassung enthält mehrere besonders grundlegende Artikel, die den Charakter des Staates festlegen:

Artikel 1 – Staatsform

Der Staat der Türkei ist eine Republik.

Artikel 2 – Wesensmerkmale der Republik

Die Republik Türkei ist ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat, der im Rahmen des öffentlichen Friedens, der nationalen Solidarität und Gerechtigkeit unter Wahrung der Menschenrechte regiert wird. Sie bleibt dem Nationalismus Atatürks treu und beruht auf den im Vorspann genannten Grundprinzipien.

Artikel 3 – Einheit des Staates, Sprache, Flagge, Nationalhymne, Hauptstadt

Der Staat der Türkei ist mit seinem Staatsgebiet und seinem Staatsvolk eine unteilbare Einheit.
Seine Sprache ist Türkisch.
Seine Flagge, deren Form durch das einschlägige Gesetz vorgeschrieben ist, besteht aus einem weißen Halbmond und einem Stern auf rotem Grund.
Seine Nationalhymne ist der „Unabhängigkeitsmarsch“.
Die Hauptstadt ist Ankara.

Artikel 4 – Unabänderliche Bestimmungen

Die Bestimmung von Artikel 1 über die Staatsform als Republik, die Merkmale der Republik gemäß Artikel 2 und die Bestimmungen von Artikel 3 dürfen nicht geändert und ihrer Änderung darf nicht einmal vorgeschlagen werden.

Wer sich im Detail mit der Verfassung befassen möchte, findet eine vollständige englische Übersetzung der türkischen Verfassung auf der Website der Großen Nationalversammlung der Türkei. Sie können das Dokument im PDF-Format hier herunterladen.

Türkisches Verfassungsgericht

Gebäude des türkischen Verfassungsgerichts

Das türkische Verfassungsgericht (Anayasa Mahkemesi) ist das höchste Gericht für Verfassungsfragen in der Türkei. Es überprüft Gesetze und präsidiale Rechtsakte sowie bestimmte Parlamentsbeschlüsse auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung – sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht.

Darüber hinaus fungiert das Verfassungsgericht in bestimmten Fällen als oberstes Staatsgericht. Es ist befugt, Verfahren gegen den Präsidenten der Republik, den Vizepräsidenten, Mitglieder des Kabinetts sowie Richter höherer Gerichte zu führen, wenn ihnen Straftaten im Zusammenhang mit ihrem Amt vorgeworfen werden.

Das Gericht spielt eine zentrale Rolle beim Schutz der Grundrechte und der verfassungsmäßigen Ordnung. Zugleich steht es in einem engen Zusammenhang mit anderen staatlichen Institutionen wie der Großen Nationalversammlung und den Sicherheitsorganen. Für ein umfassendes Verständnis der staatlichen Ordnung lohnt sich etwa ein Blick auf die Die Geschichte der türkischen Gendarmerie oder auf das historische Bildungssystem der osmanische Schule, die beide das Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Recht über Jahrhunderte geprägt haben.

Auch die Entwicklung der türkischen Demokratie und die Praxis freier Wahlen – etwa sichtbar in den Türkische Wahlergebnisse 2023 – lassen sich nur im Zusammenspiel mit der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung verstehen. Biografische Einblicke in Persönlichkeiten wie Halide Edip Adıvar und Mustafa Kemal Atatürk zeigen zudem, wie eng politische Geschichte und Verfassungsentwicklung miteinander verwoben sind.

Wie kann die türkische Verfassung geändert werden?

Ein Verfassungsänderungsvorschlag muss von mindestens einem Drittel der Mitglieder der Großen Nationalversammlung der Türkei eingebracht werden (bei derzeit 600 Abgeordneten also mindestens 200). Die vorgeschlagenen Änderungen werden in zwei Lesungen beraten und in geheimer Abstimmung beschlossen. Damit eine Verfassungsänderung angenommen wird, ist eine Mehrheit von mindestens drei Fünfteln der Gesamtzahl der Abgeordneten erforderlich. Je nach erreichter Mehrheit und Entscheidung des Staatspräsidenten kann zusätzlich ein Referendum notwendig sein, bei dem die Wählerinnen und Wähler über die Verfassungsänderung abstimmen (Rechtslage Stand: 2024).

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