Inhaltsverzeichnis
Das osmanische Palästina bezeichnet eine fast 400-jährige Epoche, in der die Region unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches stand. Diese Zeit, die oft als Phase relativer Stabilität und religiöser Koexistenz beschrieben wird, prägte das Land nachhaltig.
Palästina kam 1516 unter osmanische Herrschaft und verblieb dort bis zum Ersten Weltkrieg im Jahr 1917.

Über das osmanische Palästina
Vier Jahrhunderte lang erlebte Palästina als Teil des Osmanischen Reiches Phasen des Wohlstands und der administrativen Entwicklung. Die Hohe Pforte in Istanbul legte stets großen Wert auf die Verwaltung der Region, insbesondere auf Jerusalem. Die Stadt gilt nach Mekka und Medina als drittheiligste Stätte im Islam und hatte auch für Christen und Juden eine zentrale Bedeutung.
Das Osmanische Reich verfolgte eine Politik, die die religiöse Praxis an den heiligen Stätten weitgehend garantierte. Ein Kernbestandteil dieser Politik war das sogenannte Millet-System, das den verschiedenen religiösen Gemeinschaften eine gewisse Autonomie in eigenen Angelegenheiten gewährte.
Die osmanische Regierung bemühte sich, Frieden und Stabilität in Palästina mit administrativen, militärischen und wirtschaftlichen Mitteln zu wahren, auch wenn das Reich in späteren Jahren zunehmend unter Druck geriet.
Die osmanische Eroberung Palästinas
Palästina fiel nach der entscheidenden Schlacht von Marj Dabiq (1516) an das Osmanische Reich. Sultan Selim I. besiegte dort die Mamluken und gliederte die Levante in sein Reich ein.
Sein Nachfolger, Sultan Süleyman der Prächtige, festigte die Herrschaft und investierte massiv in die Infrastruktur. Zu den ersten und bedeutendsten Maßnahmen nach der Eroberung gehörten:
- Der Wiederaufbau der Stadtmauern von Jerusalem (die bis heute die Altstadt umschließen).
- Die Renovierung und Verschönerung des Felsendoms (Qubbat as-Sahra).
- Die Restaurierung der heiligen Stätten, einschließlich des Davidgrabes.
Diese Bauprojekte unterstreichen die Bedeutung, die das Osmanische Jerusalem für die Sultane hatte.
Der Status Palästinas in der osmanischen Ära
Administrative Aufteilung
Während der osmanischen Zeit war das Gebiet nicht als einheitliche Provinz “Palästina” organisiert, sondern in mehrere Verwaltungsbezirke, sogenannte Sanjaks, unterteilt. Zu den wichtigsten gehörten:
- Sanjak von Jerusalem (Al-Quds Al-Sharif)
- Sanjak von Nablus
- Sanjak von Akko (Acre)
- Bezirke wie Gaza, Jaffa, Hebron und Nazareth
Die administrative Gliederung änderte sich im Laufe der Jahrhunderte mehrfach. Ein entscheidender Schritt erfolgte im späten 19. Jahrhundert: Im Jahr 1872 wurde der Sanjak von Jerusalem zu einem unabhängigen Mutasarrifat (Gouvernement) erhoben, das direkt dem Innenministerium in Istanbul unterstellt war. Dies geschah unter anderem, um dem wachsenden Interesse der europäischen Großmächte an der Heiligen Stadt entgegenzuwirken.

Die historischen Karten zeigen die Grenzen des Mutasarrifats Jerusalem und seine Überschneidungen mit den Provinzen (Vilayets) von Beirut und Syrien (Damaskus).

Demographie des osmanischen Palästina
Die Bevölkerung Palästinas war während der osmanischen Ära mehrheitlich muslimisch-arabisch. Historische Schätzungen und Volkszählungen, wie die um 1880, deuten darauf hin, dass etwa 87 % der Bevölkerung muslimische Araber waren. Neben den mehrheitlich sunnitischen Muslimen lebten auch Drusen und Schiiten in der Region.
Die Wirtschaft basierte größtenteils auf der Landwirtschaft. Lange Zeit wurde Boden nach traditionellem Recht vererbt und genutzt. Dies änderte sich mit dem Osmanischen Landgesetz von 1858, das darauf abzielte, Landbesitz offiziell zu registrieren und Eigentumsurkunden (Tapu) auszustellen. Ziel war es, die Steuereinnahmen zu sichern, doch führte dies oft dazu, dass Ländereien in den Besitz wohlhabender städtischer Familien übergingen.
Christen und Juden bildeten bedeutende Minderheiten, die vorwiegend in den Städten wie Jerusalem, Jaffa, Haifa und Safed lebten und oft im Handel und Handwerk tätig waren.

Religiöse Minderheiten im Millet-System
Das Osmanische Reich organisierte seine nicht-muslimischen Untertanen nach dem Millet-System (nicht zu verwechseln mit “Hirse”, dem Getreide). Dieses System gewährte religiösen Gemeinschaften (Millets) wie den Griechisch-Orthodoxen, Armeniern und Juden weitgehende Autonomie in Fragen des Personenstandsrechts, der Bildung und der religiösen Gerichtsbarkeit.
Bereits nach der Eroberung durch Selim I. wurden Dekrete erlassen, die den Christen in Jerusalem den Schutz ihrer Kirchen und Klöster zusicherten. Die Sultane und lokalen Gouverneure mussten oft als Schlichter in den komplexen Streitigkeiten zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen (Katholiken, Orthodoxe, Armenier, Kopten) um die Rechte an der Grabeskirche eingreifen.

Auch die jüdische Gemeinde lebte unter diesem Schutz. Osmanische Archivdokumente belegen, dass der Staat Renovierungen von Synagogen genehmigte und das religiöse Leben schützte. Ähnlich wie bei biblischen Stätten in der Türkei wurde auch in Palästina auf den Erhalt des religiösen Erbes geachtet.
Dieses Gleichgewicht geriet erst im späten 19. Jahrhundert unter Druck, als der aufkommende Zionismus und die verstärkte europäische Einmischung die Demographie und politische Landschaft zu verändern begannen. Sultan Abdülhamid II. versuchte, den Status quo zu bewahren, indem er Restriktionen für die massive Einwanderung und den Landerwerb durch Ausländer erließ.

Die jüdische Präsenz im osmanischen Palästina
Die osmanische Regierung erkannte die historische jüdische Präsenz an. Die Gemeinde bestand traditionell aus sephardischen Juden, die oft gut in die lokale Gesellschaft integriert waren, und aschkenasischen Juden, die vorwiegend aus religiösen Gründen in die vier heiligen Städte (Jerusalem, Hebron, Safed, Tiberias) zogen.
Viele der aschkenasischen Einwanderer lebten von Spenden (Halukka) aus der Diaspora. Die Situation änderte sich jedoch grundlegend mit dem Aufkommen der politischen zionistischen Bewegung, die einen jüdischen Nationalstaat anstrebte.
Sultan Abdülhamid II. erlaubte zwar jüdischen Flüchtlingen, die in Europa verfolgt wurden, sich im Osmanischen Reich niederzulassen, schloss Palästina jedoch oft explizit als Siedlungsgebiet aus, um nationale Konflikte zu vermeiden.
Zu den Maßnahmen gegen die politische Kolonisierung gehörten:
- Beschränkungen beim Landkauf für Ausländer
- Einführung des “Roten Ausweises” (einer Art temporäres Visum) für Pilger
- Versuche, die illegale Einwanderung zu kontrollieren

Osmanisches Palästina und der Zionismus
Die zionistische Bewegung unter Theodor Herzl suchte zunächst den diplomatischen Kontakt zum Osmanischen Reich. Herzls Ziel war es, eine “Charta” für die jüdische Besiedlung Palästinas zu erhalten.
Es ist historisch belegt, dass Herzl dem finanziell angeschlagenen Osmanischen Reich anbot, im Gegenzug für Siedlungsrechte die immensen Auslandsschulden des Reiches zu tilgen. Sultan Abdülhamid II. lehnte dieses Angebot jedoch kategorisch ab. Er wird oft mit den Worten zitiert, dass er nicht bereit sei, auch nur einen Fußbreit des Landes zu verkaufen, da es nicht ihm, sondern dem Volk gehöre.

Nach der Jungtürkischen Revolution 1908 und der Absetzung Abdülhamids II. kam das Komitee für Einheit und Fortschritt (İttihat ve Terakki) an die Macht. Zunächst hofften einige Zionisten auf eine Lockerung der Restriktionen, doch die neue Regierung, die mit dem aufkeimenden Nationalismus im ganzen Reich kämpfte, sah die jüdische Einwanderung bald ebenfalls kritisch.
Trotz offizieller Verbote gelang es Organisationen wie dem Jüdischen Nationalfonds durch Strohmänner und Gesetzeslücken, Land zu erwerben, was die Spannungen in der Region bis zum Ersten Weltkrieg verstärkte.

Das Ende der Herrschaft des Osmanischen Reiches in Palästina
Der Erste Weltkrieg markierte das Ende der 400-jährigen osmanischen Präsenz. Die europäischen Mächte, insbesondere Großbritannien, nutzten interne Konflikte und unterstützten die Arabische Revolte gegen die osmanische Herrschaft.
Nach schweren Kämpfen in Gaza und Beerscheba (Schlacht von Beerscheba) durchbrachen die alliierten Streitkräfte unter General Edmund Allenby die osmanischen Verteidigungslinien. Im Dezember 1917 zog Allenby in Jerusalem ein. Symbolträchtig stieg er am Jaffa-Tor vom Pferd und betrat die Stadt zu Fuß, um Respekt zu zeigen.

Mit der Besetzung Jerusalems endete die osmanische Ära, und eine Zeit der britischen Mandatsverwaltung begann. Dies wurde später vom ersten britischen Militärgouverneur von Jerusalem, Ronald Storrs, kritisch reflektiert:
“Die Militärverwaltung hat in der zionistischen Frage gegen den Grundsatz des ‘Status quo’ verstoßen. Palästina war ein Staat, der zum muslimischen osmanischen Staat gehörte, und die große Mehrheit seiner Bewohner waren Araber. Unsere logische Vorgehensweise wäre daher gewesen, das Gebiet wie Ägypten oder ein anderes Land mit bedeutenden Minderheiten zu verwalten.”
Interessanterweise finden sich in der Geschichte der türkischen Republik auch später noch Verbindungen zu dieser Ära, etwa durch Persönlichkeiten wie Halide Edip Adıvar, die im Ersten Weltkrieg in der Region aktiv war und Bildungsreformen vorantrieb.

Dokumente zum osmanischen Palästina
Die Bedeutung dieser Epoche wird durch umfangreiche Archive unterstrichen. Die Türkei hat der Palästinensischen Autonomiebehörde Zugang zu Tausenden von Dokumenten aus dem Osmanischen Archiv gewährt. Diese Unterlagen sind heute von unschätzbarem Wert, da sie Eigentumsrechte, Landtitel und Verwaltungsstrukturen dokumentieren.
Die veröffentlichten Dokumente geben Einblick in das soziale, religiöse und wirtschaftliche Leben und dienen oft als rechtlicher Nachweis für Landbesitz in einer bis heute umstrittenen Region.







