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Sultan Abdülmecid I. gilt als einer der prägenden Herrscher der Spätzeit des Osmanischen Reiches. Seine Regierungsjahre standen im Zeichen der Tanzimat‑Reformen, des Ausgleichs mit europäischen Mächten und schwerer Krisen – vom Ägypten‑Konflikt bis zum Krimkrieg. Er wollte den Staat von Grund auf reorganisieren, erzielte sichtbare Fortschritte, sah sich jedoch auch erheblichen Kosten und Widerständen gegenüber.

Abstammung und Familie
Abdülmecid wurde am 25. April 1823 in Konstantinopel (Istanbul) als Sohn von Sultan Mahmud II. und Bezmiâlem Valide Sultan geboren. Er war der Enkel Abdülhamids I. und entstammte der Dynastie der Osmanen. Als erster osmanischer Sultan sprach er fließend Französisch.
Zu seinen Gemahlinnen (Kadın/İkbal) gehörten u. a. Servetseza Kadın (Başkadin), Şevkefza Kadın (Mutter von Sultan Murad V), Tirimüjgan Kadın (Mutter von Abdülhamid II.), Verdicenan Kadın, Gülcemal Kadın (Mutter von Mehmed V), Gülistu Kadın (Mutter von Mehmed VI) und Rahime Perestu Kadın (Adoptivmutter Abdülhamids II.).
Frühes Leben
Abdülmecid erhielt im Palast eine moderne, europäisch geprägte Erziehung und zeigte früh Interesse an Literatur und klassischer Musik.

Thronbesteigung und die „Orientalische Krise“
Nach dem Tod Mahmuds II. am 1. Juli 1839 wurde Abdülmecid I. am 2. Juli 1839 als Sultan proklamiert – inmitten der erneuten Auseinandersetzung mit dem ägyptischen Statthalter Muhammad Ali Pascha. Nach der Niederlage der osmanischen Armee bei Nizip und der Überführung der Flotte nach Alexandria durch Ahmed Fevzi Pascha erzwangen europäische Mächte 1840/41 einen Ausgleich: Mit der Londoner Konvention (1840) und dem anschließenden Firman erhielt Muhammad Ali die Erbverwaltung über Ägypten, gab aber Syrien und die Flotte zurück.
Irlands große Hungersnot (1845–1852)
Während der Großen Hungersnot erreichte Sultan Abdülmecid 1847 ein Hilferuf. Belegt ist eine Spende von 1.000 Pfund Sterling, für die sich irische Würdenträger schriftlich bedankten. Immer wieder wird zusätzlich von drei osmanischen Getreideschiffen berichtet, die Drogheda angelaufen haben sollen; dazu fehlen bis heute eindeutige amtliche Belege. Sicher ist zudem: Der Halbmond‑Stern im Wappen Droghedas existierte bereits vor der Hungersnot und wurde nicht erst aus Dank eingeführt, auch wenn Drogheda und sein Fußballklub das Symbol heute sichtbar nutzen.


Tanzimat‑Reformen unter Abdülmecid
Abdülmecids wichtigste Leistung war die Umsetzung und Ausweitung der Reformagenda seines Vaters. Er verkündete das Hatt‑ı Şerif von Gülhane (3. November 1839) und das Hatt‑ı Hümayun/Islahat Fermânı (18. Februar 1856), die Rechtssicherheit, Verwaltungs‑ und Heeresreformen sowie mehr Gleichstellung der Untertanen zusicherten.
- Erstes Papiergeld (Kaime): 1840 eingeführt; ab 1842 gedruckt.
- Heeresreform und Wehrpflicht: Losverfahren ab 1843/44; fünf Jahre aktiver Dienst, gefolgt von sieben Jahren Reserve.
- Staatssymbole: Einführung des Mecidiye Marşı (Reichshymne) ab 1839 und Standardisierung der roten Flagge mit weißem Halbmond und Stern (1844).
- Justiz und Verwaltung: Kodifikation nach europäischem Vorbild, gemischte Zivil‑/Strafgerichte und Stärkung des Meclis‑i Vâlâ‑yı Ahkâm‑ı Adliye als Vorläufer moderner Legislative und Verwaltungsgerichtsbarkeit.
- Bildung: Einrichtung des Meclis‑i Maârif‑i Umûmiye (1846) und des Maarif Nezâreti – Bildungsministeriums (1857); außerdem eine osmanische Schule in Paris (1855).
- Sklavenhandel: Schließung des Istanbuler Sklavenmarkts (1847) und weitere Verbote gegen den Sklavenhandel (1854/55; 1857) – ohne die Sklaverei insgesamt sofort abzuschaffen.
- Landgesetz: Der Arazi Kanunnamesi (1858) bestätigte Eigentumsrechte und trieb ein reichsweites Kataster voran.
Krimkrieg (1853–1856) und Staatsfinanzen
Wegen russischer Ansprüche auf osmanische Territorien geriet das Reich in den Krimkrieg und verbündete sich mit Großbritannien, Frankreich und Sardinien. Die Alliierten eroberten nach verlustreicher Belagerung Sewastopol (1855); Russland akzeptierte den Frieden von Paris (30. März 1856), der u. a. das Schwarze Meer neutralisierte. Zur Kriegsfinanzierung nahm die Hohe Pforte 1854 erstmals Auslandsanleihen auf – der Beginn einer dauerhaften Auslandsverschuldung.

Dolmabahçe‑Palast
Der Dolmabahçe‑Palast (Bau 1843–1856) war der erste große Palast Istanbuls im europäischen Stil. Die Baukosten beliefen sich auf rund fünf Millionen osmanische Goldlira (etwa 35 Tonnen Gold); allein für die Deckendekoration wurden ca. 14 Tonnen Blattgold verwendet. Auf heutige Preise umgerechnet entspräche dies – bei einem angenommenen Goldpreis von etwa 2.400 US‑Dollar je Feinunze im Oktober 2025 – ungefähr 2,7 Milliarden US‑Dollar Gesamtkosten; der Goldanteil der Decken entspräche rund 1,08 Milliarden US‑Dollar. Die Prachtentfaltung stand sinnbildlich für die Modernisierung – und die finanzielle Belastung – der Tanzimat.

Tod und Nachfolge
Abdülmecid I. starb am 25. Juni 1861 im Alter von 38 Jahren in Istanbul an Tuberkulose und wurde in der Yavuz‑Selim‑Moschee beigesetzt. Ihm folgte sein Halbbruder Sultan Abdülaziz nach.







