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Freihandelszonen in der Türkei sind mehr als nur steuerbegünstigte Gebiete; sie sind der strategische Hinterhof für den europäischen Markt.
Für internationale Investoren und deutsche Unternehmen ist die Rechnung oft einfach: Die Türkei bietet eine geografische Brücke zwischen Ost und West, kombiniert mit niedrigen Arbeitskosten. Doch das eigentliche „Ass im Ärmel” sind die Freizonen (türkisch: Serbest Bölgeler). Wer hier produziert, kann unter bestimmten Bedingungen fast komplett steuerfrei operieren.
Aber Vorsicht: Das Modell hat sich gewandelt. Es ist kein pauschales Steuerparadies für Briefkastenfirmen mehr, sondern ein Hochleistungs-Hub für echte Produktion und Export. In diesem Artikel analysieren wir die Fakten für 2025/2026 – ohne Schönfärberei.
Was sind türkische Freizonen eigentlich?
Freizonen sind spezielle, umzäunte Gebiete innerhalb der Türkei, die rechtlich als außerhalb des türkischen Zollgebiets liegend betrachtet werden. Das bedeutet: Obwohl Sie sich physisch in der Türkei befinden, greifen die üblichen bürokratischen und fiskalischen Regeln hier nicht oder nur sehr eingeschränkt.
Das Ziel der Regierung ist klar: Exportförderung. Der Staat verzichtet auf Steuereinnahmen, um im Gegenzug Technologie, Devisen und Arbeitsplätze ins Land zu holen. Aktuell (Stand 2025) gibt es 19 Freihandelszonen in der Türkei, von denen 18 voll aktiv sind und eine (die West-Anatolien Freizone) sich im Aufbau befindet.
Die „Hard Facts”: Steuervorteile & Anreize
Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Viele Ratgeber versprechen pauschale Steuerfreiheit. Die Realität ist nuancierter: Die größten Vorteile gelten primär für produzierende Unternehmen (Hersteller), nicht für reine Handelsfirmen. Hier ist der aktuelle Stand der Anreize:
- 0 % Körperschaftsteuer: Produzierende Unternehmen sind zu 100 % von der Körperschaftsteuer befreit. Das ist der wichtigste Hebel für Ihren ROI.
- 0 % Einkommensteuer für Mitarbeiter: Wenn Sie mindestens 85 % Ihrer Produkte exportieren, entfällt die Einkommensteuer auf die Gehälter Ihrer Angestellten komplett.
- Zollfreiheit: Waren, die aus dem Ausland in die Zone eingeführt werden, sind zollfrei. Das ist ideal für die Veredelung von Rohstoffen.
- Keine Mehrwertsteuer (KDV): Lieferungen und Dienstleistungen innerhalb der Zone sowie aus der Türkei in die Zone sind komplett von der Mehrwertsteuer befreit.
- Freier Gewinntransfer: Es gibt keine Beschränkungen für den Transfer von Gewinnen aus der Freizone ins Ausland oder in die Türkei.
- Immobilien-Vorteile: Befreiung von der Grundsteuer und oft auch von Gebühren beim Immobilienerwerb.
Experten-Tipp: Achten Sie darauf, ob Ihr Geschäftsmodell als „Produktion” oder „Handel” klassifiziert wird. Reine Händler profitieren zwar von Zollvorteilen, aber oft nicht mehr von der vollen Einkommensteuerbefreiung.
Strategische Standorte: Wo sollten Sie hingehen?
Die Wahl des Standorts entscheidet über Ihre Logistikkosten. Die 19 Zonen sind strategisch über das Land verteilt, meist in direkter Nähe zu großen Häfen. Für den türkischen Außenhandel sind dies die wichtigsten Knotenpunkte:
1. Marmara-Region (Das Industrie-Herz)
Hier schlägt das wirtschaftliche Herz der Türkei. Ideal für Unternehmen, die Nähe zu Istanbul und Europa suchen.
- Istanbul Atatürk Flughafen Freizone: Fokus auf Dienstleistungen, Software und leichte Güter.
- Istanbul Industrie & Handel: Schwergewicht für diverse Industrien.
- Kocaeli & Bursa: Perfekt für die Automobilindustrie und Schwerindustrie.
- Europäische Freizone (Çorlu): Strategisch günstig für den Landverkehr nach Europa.
Wer in dieser Region operiert, muss sich auch mit der Logistik auskennen. Ein Blick auf den Transport in Istanbul zeigt, wie wichtig kurze Wege sind.
2. Ägäis-Region (Das Tor zum Mittelmeer)
Izmir ist ein Hotspot für Exportunternehmen, besonders in den Bereichen Textil, Lebensmittel und erneuerbare Energien (z. B. Solarmodulhersteller).
- Ägäis Freizone (ESBAS – Izmir): Eine der modernsten und größten Zonen der Türkei.
- Izmir Freizone (IZBAS – Menemen): Wachsender Standort.
- Denizli: Stark in der Textilindustrie.
3. Mittelmeer-Region (Naher Osten & Logistik)
Ideal für den Handel mit dem Nahen Osten und Nordafrika.
- Mersin: Die erste Freizone der Türkei, direkt am riesigen Hafen gelegen.
- Antalya: Bekannt für Luxusyachtbau und Medizintechnik.
- Adana-Yumurtalık: Fokus auf Schwerindustrie und Petrochemie.
4. Schwarzmeer & Anatolien
Diese Zonen bieten oft günstigere Betriebskosten und bedienen spezifische Nischen.
- Trabzon, Rize, Samsun: Logistik-Hubs am Schwarzen Meer.
- Gaziantep, Kayseri, Mardin: Starke industrielle Basis im Landesinneren.

Zugelassene Aktivitäten: Was dürfen Sie tun?
Die türkischen Behörden sind flexibel, solange es dem Wirtschaftsstandort nützt. Zu den häufigsten Aktivitäten gehören:
- Fertigung & Montage: Der „Sweet Spot” für Steuervergünstigungen.
- Forschung & Entwicklung (F& E): Stark gefördert, oft in Verbindung mit Technoparks.
- Softwareentwicklung: Zunehmend beliebt durch Remote-Work-Modelle.
- Lagerung & Verpackung: Nutzung als Logistik-Hub für den Re-Export.
- Handel: Import und Verkauf (mit eingeschränkten Steuervorteilen).
Herausforderungen & Erste Schritte
Trotz aller Vorteile ist der Eintritt in eine Freizone kein Selbstläufer. Die Bürokratie kann anspruchsvoll sein. Sie benötigen eine Betriebslizenz (Faaliyet Ruhsatı) vom Handelsministerium und müssen einen Vertrag mit dem Zonenbetreiber schließen.
Bereiten Sie sich darauf vor, dass Dokumente oft eine formelle Legalisierung oder notarielle Beglaubigung benötigen. Eine professionelle Beratung vor Ort ist unerlässlich, um die richtige Zone für Ihren spezifischen Sektor zu wählen – denn nicht jede Zone eignet sich für jede Industrie.







