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Istanbul ist nicht Amsterdam oder Berlin. Lassen Sie uns ehrlich sein: Eine Stadt, die auf sieben Hügeln erbaut wurde, durchzogen von Jahrtausende altem Kopfsteinpflaster und steilen Gassen, ist für Reisende mit eingeschränkter Mobilität eine echte Herausforderung. Aber – und das ist das Entscheidende – sie ist machbar. Und oft sogar überraschend komfortabel, wenn man die richtigen Werkzeuge kennt.
Vergessen Sie die Horrorvorstellungen von unüberwindbaren Treppen. Istanbul hat in den letzten Jahren massiv in die Infrastruktur investiert. Von kostenlosen öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zu speziellen Flughafen-Services: Wir zeigen Ihnen nicht die theoretischen Regeln, sondern die Praxis für Ihren Besuch in 2025 und darüber hinaus.

Ankunft in Istanbul: Der VIP-Service ohne Aufpreis
Der erste Eindruck zählt, und hier punkten beide Flughäfen der Stadt, wenn man die Systeme zu nutzen weiß.
Istanbul Flughafen (IST): Das „İGA Yanımda” Programm
Der neue Istanbuler Großflughafen ist riesig. Die Distanzen sind für Fußgänger ermüdend, für Rollstuhlfahrer ohne Hilfe kaum machbar. Hier greift 2025 das „İGA Yanımda” (İGA an meiner Seite) Programm. Es bietet:
- Kostenlose Rollstühle: Verfügbar an den Eingängen (Abflug Tür 2 und 5; Ankunft Tür 9 und 12).
- Priorität: Nutzen Sie die speziellen Check-in-Inseln B und M. Dort gibt es nicht nur weniger Hektik, sondern auch spezielle Ruhebereiche und Ladestationen für E-Rollstühle.
- Wichtig: Buchen Sie den Assistenzservice mindestens 48 Stunden vor Abflug über Ihre Airline.

Sabiha Gökçen (SAW): Kompakt und Hilfsbereit
Auf der asiatischen Seite ist alles etwas kompakter. Hier arbeiten die Airlines mit spezialisierten Dienstleistern zusammen. Pegasus-Passagiere werden von PortClinic (0216 588 87 80) betreut, während Turkish Airlines und AJet auf Airclinic (0216 588 22 22) setzen. Auch hier gilt: Die Anmeldung im Voraus spart Ihnen wertvolle Urlaubszeit.
Öffentlicher Verkehr: Kostenlos und (meistens) Barrierefrei
Das ist der größte „Hidden Gem” für Istanbul-Besucher mit Behinderung: Der öffentliche Nahverkehr ist für Sie und oft auch für eine Begleitperson kostenlos.
Wer einen Behindertenausweis (Grad 40% oder höher) besitzt, kann die „Engelli İstanbulkart” nutzen. Die Ausstellung kostet einmalig 35 TL (Stand 2025). Wenn in Ihrem Ausweis ein „Begleitperson”-Vermerk (oder ein Grad von über 50% mit dem Vermerk „schwerbehindert”) steht, fährt auch Ihr Begleiter umsonst.
Sollten Sie nur kurz zu Besuch sein und die Karte nicht beantragen wollen, zeigen Sie dem Sicherheitspersonal an den Drehkreuzen Ihren internationalen Behindertenausweis. In 9 von 10 Fällen wird Ihnen das Personal das Tor aus Kulanz öffnen – die türkische Gastfreundschaft ist hier sehr pragmatisch.
Für eine detaillierte Übersicht über das gesamte Netz empfehlen wir unseren Artikel über Transport in Istanbul.
Metro und Straßenbahn: Das Rückgrat
Die Metro Istanbul ist modern. Fast alle Stationen der Linien M1, M2 und M7 verfügen über funktionierende Aufzüge und Leitsysteme für Sehbehinderte. Die Straßenbahnlinie T1 (die alle Touristen-Hotspots wie Sultanahmet und Eminönü verbindet) ist niederflurig. Aber Vorsicht: Zur Rush Hour (8:00–9:30 Uhr und 17:00–19:00 Uhr) sind diese Bahnen extrem voll. Ein Einsteigen mit dem Rollstuhl ist dann oft ein Geduldsspiel.
Die Fähren: Der schönste Weg
Vermeiden Sie den Bus, wenn Sie können, und nehmen Sie das Schiff. Die „Şehir Hatları” Fähren sind 2025 vollständig auf Barrierefreiheit eingestellt. Halten Sie Ausschau nach den neueren Schiffstypen wie „Durusu”, „Küçüksu” oder „Göksu”. Diese verfügen über breitere Korridore, spezielle Behindertentoiletten und Rampen, die nicht zu steil sind. Es gibt kaum eine entspanntere Art, den Bosporus zu erleben – vielleicht sogar als Alternative zu einer privaten Yacht in Istanbul.
Das Taxi-Dilemma und die Lösung für 2025
Ein reguläres gelbes Taxi in Istanbul ist für Rollstuhlfahrer oft ein Glücksspiel. Viele Fahrzeuge haben Gastanks im Kofferraum, was den Platz für einen gefalteten Rollstuhl eliminiert.
Die bessere Lösung:
- Die neuen 8+1 Taxis: Die Stadt hat über 400 neue schwarze Minivan-Taxis eingeführt, die speziell für Barrierefreiheit und Familien ausgelegt sind.
- Alo 153: Die Stadtverwaltung bietet über die Nummer 153 (Option „Beyaz Masa”) einen kostenlosen Transportdienst für Rollstuhlfahrer an. Dies erfordert jedoch etwas Geduld und Voranmeldung.
- Private Transfers: Für absolute Sicherheit bieten Firmen wie „Mobility Turkey” spezialisierte VIP-Transfers mit Hebebühne an. Rechnen Sie hier mit Preisen ab ca. 60 Euro pro Transfer.

Kultur ohne Barrieren: Museen und Sehenswürdigkeiten
Istanbul öffnet seine Schatzkammern für Menschen mit Behinderung weit. 2025 gilt in fast allen staatlichen und vielen privaten Museen: Eintritt frei für Besucher mit Behinderung und eine Begleitperson.
Hier sind unsere Top-Empfehlungen, die nicht nur „zugänglich”, sondern wirklich erlebbar sind:
- Panorama 1453 Geschichtsmuseum: Vollständig barrierefrei mit Aufzügen zur Panoramabene. Ein immersives Erlebnis der Eroberung Istanbuls.
- Pera Museum: Vorbildlich mit dem Projekt „Pera Engelsiz”. Es gibt spezielle Workshops für geistig behinderte Besucher und Führungen in Gebärdensprache.
- Sakıp Sabancı Museum: Gelegen am wunderschönen Bosporus, bietet es nicht nur Kunst, sondern durchgängig Rampen und Aufzüge.
- Beşiktaş JK Museum: Für Fußballfans ein Muss. 100% barrierefrei, inklusive taktiler Ausstellungsstücke für Sehbehinderte.
Planen Sie auch Shopping ein? Schauen Sie sich unseren Guide zu Souvenirs in der Türkei an – moderne Einkaufszentren sind hier oft barrierefreier als die historischen Basare.
Ein „stilles” Problem: Toiletten in der Stadt
Barrierefreie Toiletten zu finden, war früher die größte Sorge. Das hat sich geändert. Die Stadtverwaltung (IBB) hat moderne Container-Toiletten an touristischen Knotenpunkten wie dem Sultanahmet-Platz (nahe dem Deutschen Brunnen) und dem Taksim-Platz aufgestellt.
Insider-Tipp: Laden Sie die App „İstanbul Senin” herunter. Dort können Sie im Bereich „Stadtkarte” den Filter für WCs setzen. Während die normale Gebühr 2025 auf 10 TL angehoben wurde, ist die Nutzung mit der „Engelli Kartı” (Behindertenkarte) weiterhin kostenlos.
Die Realität der Straße: Wo es schwierig wird
Wir wollen nichts beschönigen. Orte wie Galata oder Teile von Beyoğlu und Balat sind extrem steil. Das Kopfsteinpflaster kann für Rollstuhlfahrer eine Tortur sein. In diesen Gegenden ist ein Taxi oft unvermeidbar.
Sollten Sie medizinische Unterstützung benötigen, finden Sie in unserem Leitfaden zu den besten Krankenhäusern in Istanbul exzellente Anlaufstellen, die auf internationale Patienten eingestellt sind.
Istanbul ist vielleicht nicht die einfachste Stadt der Welt für barrierefreies Reisen, aber die menschliche Wärme macht vieles wett. Wo eine Rampe fehlt, finden sich oft vier Hände, die anpacken. Seien Sie mutig – die Stadt am Bosporus ist es wert.




